Manchmal steht ein Elefant im Raum, aber kaum einer traut sich, darüber zu sprechen. Entweder aus falscher Rücksichtnahme oder aus Angst, in die vermeintlich falsche Ecke gerückt zu werden. Oft trauen sich irgendwann Personen des öffentlichen Lebens, die vorher ihre Schäfchen ins Trockene gebracht haben, das Schweigen zu brechen. Das ist menschlich verständlich, führt aber dazu, dass falsche Entwicklungen laufen gelassen werden, obwohl eigentlich fast jeder das Problem sieht. Nur selten kommt es vor, dass der sprichwörtliche Elefant von einem hochrangigen Politiker angesprochen wird.
Das ist nun passiert. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte auf einer Pressekonferenz in Potsdam einen Satz ausgesprochen, der ihn nun wohl eine ganze Weile verfolgen dürfte: „Wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen“ [1].
Er präzisierte nicht, aber jeder wusste, was gemeint war. Wenige Tage später wurde er von einem Journalisten mit der Frage konfrontiert, was er denn damit ausdrücken wollte. Darauf antwortete er in ähnlicher Diktion, dass er, wenn er Töchter habe, doch diese fragen solle. Merz weiter: „Ich vermute, Sie kriegen eine ziemlich klare und deutliche Antwort“ [2].
Was ist denn nun mit dem Stadtbild?
Es ist kein Geheimnis und seit mittlerweile vielen Jahren – übrigens nicht erst seit 2015 – bekannt, dass es vor allem in unseren Großstädten Viertel gibt, die für normale Menschen zu No-Go-Areas geworden sind. Gegenden, die man meidet, weil sie nicht sicher sind. Straßenzüge, in denen ganz offen am helllichten Tage harte Drogen verkauft und konsumiert werden. Stadtteile, in denen nicht die Polizei die Sicherheit gewährleistet, sondern große Familien eine Ordnung schaffen, wie sie sie für richtig halten. In fast jeder größeren Stadt gibt es Straßen, in denen kaum noch ein Geschäft eine deutsche Aufschrift, in denen kaum noch ein Lokal einen deutschen Inhaber hat. Diese Beispiele für ein Stadtbild sind es, die dazu führen, dass man sich fremd im eigenen Land fühlt.
Das ist bekannt, daran ändern auch linke berufsempörte Briefeschreiberinnen nichts, die in feministischer Manier aus dem Ganzen nun ein Männer-Problem machen wollen [1]. Auch grüne und linke Kreisverbände, die Merz nun der Volksverhetzung bezichtigen und Strafanzeigen erstatten, werden damit das deutlich sichtbare Problem kaum unter den Tisch kehren können [3].
Die benannten Probleme im Stadtbild sind objektiv wahrnehmbar, was auch neueste Umfragen belegen. So fühlen sich 55 Prozent der Frauen einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Civey zufolge an keinem der in der Umfrage zur Auswahl stehenden Orte (Straße, öffentliche Verkehrsmittel, Park u.a.) sicher, unter allen Befragten waren es immerhin 49 Prozent [4]. An Bahnhöfen fühlen sich sogar nur 14 Prozent der Frauen sicher [4].
Daher kann es auch nicht verwundern, dass die Aussage von Merz eine breite Zustimmung erfährt. Laut dem ZDF-„Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen gaben 63 Prozent der Befragten Merz recht [5].
Für Merz ist es Taktik, keine Überzeugung
Das Problem ist, dass guten und richtigen Worten selten entsprechende Taten folgen. Wahrscheinlich auch diesmal nicht.
Das sieht man zum einen daran, dass Merz mittlerweile eifrig bemüht ist, zu konkretisieren und zurückzurudern, obwohl die Aussage keiner weiteren Präzisierung bedurfte. Das hat zum anderen aber auch machtpolitische Gründe. Er wird stets nur so weit gehen, dass es die mühselig zustande gebrachte schwarz-rote Koalition (die längst keine Große Koalition mehr ist) nicht ernsthaft gefährdet. Von der SPD erntete Merz bereits lautstarke Kritik, einige SPD-Bundestagsabgeordnete beteiligten sich gar an Demos gegen Merz und seine Äußerungen.
Und es ist drittens der Zeitpunkt der Aussage, der hellhörig werden lässt. Die CDU befindet sich aktuell in einer intensiven Debatte darüber, wie man mit der AfD umgehen sollte und ob die sogenannte „Brandmauer“ dauerhaft Bestand haben kann. In zeitlicher Nähe zu seiner Stadtbild-Aussage fast eine zweitägige CDU-Präsidiumsklausur statt, bei der es um die Strategie gegen die AfD ging. Angesichts der im kommenden Jahr anstehenden Wahlen in mehreren Bundesländern will man verhindern, weitere Wähler an die AfD zu verlieren. Da greift Merz gerne zur altbekannten Taktik, rechts zu blinken, um am Ende doch wieder links abzubiegen.
Dass nicht alle in der CDU bereit sind, Merz bei seiner Taktik zu folgen, machte die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Lesung in Bonn deutlich, wo sie sich mit Blick auf Merz für eine angemessene Wortwahl aussprach, die in der Flüchtlingspolitik „in der Sache redlich und im Ton maßvoll“ sein solle [Tagesschau]. Auch die jüngst gegründete parteiinterne Plattform namens „Compass Mitte“ geht auf Distanz zu Merz und seinen Äußerungen, versteht sich anscheinend als Verteidiger des alten Merkel-Kurses und stellt in der Gründungserklärung fest: „Es darf keine Politik auf dem Rücken von Minderheiten geben“ [6].
Der frühere CDU-Chef Armin Laschet hält die „Stadtbild“-Aussage für „nebulös“, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (auch CDU) will Probleme mit Kriminalität „nicht an der Nationalität festmachen“ [5].
Wenn Merz mit seinem wahltaktischen Kalkül in der eigenen Partei schon so große Probleme hat, sollte sich keiner wundern, wenn sich unter Merz am Stadtbild nichts zum Besseren ändert. Die CDU ist die Partei, die unser Land in den letzten Jahrzehnten am längsten regiert hat. Sie ist für das, was heute „Stadtbild“ ist, hauptverantwortlich.
Stadtbild – Richtige Debatte
Die freiwillig oder unfreiwillig von Merz ausgelöste Debatte muss nun weitergeführt werden. Wenn sich Millionen Bürger nicht mehr sicher fühlen, wenn sie ihre Wohngegend kaum noch wiedererkennen, wenn sie mit der eigenen Heimat fremdeln, dann muss die Politik das ernst nehmen.
Quellenverzeichnis
[1] „Das Problem heißt Männer“, sagt Neubauer – Merz will Frauen-Brief nicht kommentieren“, www.welt.de, 29. Oktober 2025
[2] „Prominente fordern mehr Sicherheit für Frauen“, www.tagesschau.de, 28. Oktober 2025
[3] „Wegen „Stadtbild“-Aussagen: Kreuzberger Grüne stellen Strafanzeige gegen Merz“, www.tagesspiegel.de, 27. Oktober 2025
[4] „„Stadtbild“-Debatte: Umfrage: Mehrheit der Frauen fühlt sich nicht sicher“, www.tagesspiegel.de, 28. Oktober 2025
[5] „Mehrheit gibt Merz in „Stadtbild“-Debatte recht“, www.jungefreiheit.de, 24. Oktober 2025
[6] „Neue Gruppe in der CDU fordert „Kurskorrektur“ von Parteichef Merz“, www.zeit.de, 29. Oktober 2025


