Wie unabhängig ist das Bundesverfassungsgericht wirklich?
Die Gewaltenteilung ist eines der wesentlichen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie basiert auf der Unabhängigkeit der drei Staatsgewalten voneinander – insbesondere die höchsten Gerichte sollen frei von politischen Weisungen und unabhängig in ihren Entscheidungen sein. So die Theorie. Doch wie sieht die Praxis aus?
Regierungskrise vorerst verschoben
Das unwürdige Gezerre um die Bundesverfassungsrichter-Kandidatin der SPD, Frauke Brosius-Gersdorf, hatte im Juli das Potenzial für eine handfeste Regierungskrise. Bis dahin kannte man es so, dass die Parteien im Hinterzimmer auskungeln, wer die nächsten Verfassungsrichter werden. Vor allem die jeweiligen Regierungsparteien sicherten sich gegenseitig Solidarität zu, sodass die Wahl der Verfassungsrichter in den letzten Jahrzehnten selten jemanden außerhalb der juristischen Fachwelt ernsthaft interessierte.
Doch aufgeschreckt durch alternative und konservative Medien drohte trotz einhelliger Appelle von Bundeskanzler Merz und Unionsfraktionschef Spahn die erforderliche Zweidrittelmehrheit an den aus der Union benötigten Stimmen zu scheitern. Man verschob die Wahl – in der parlamentarischen Sommerpause wollte man die widerspenstigen Abgeordneten auf Regierungslinie bringen [5].
Rückzug von Brosius-Gersdorf
Zwischenzeitlich zog Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur zurück. Angeblich fühlte sie sich und ihre „gemäßigten Positionen“ falsch verstanden. Mit Blick auf eine Impfpflicht gegen Corona hatte sie gesagt:
„Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht.“
Ein Verbotsverfahren gegen die AfD bezeichnete sie in einer Talkshow als „Signal unserer wehrhaften Demokratie“ – mehr Befangenheit geht kaum, wäre es doch gerade das Bundesverfassungsgericht, das letztlich über ein Verbot zu entscheiden hätte [11].
Aufgrund ihres Rückzugs mussten die zweifelnden Unions-Abgeordneten nicht mehr eingenordet werden. Schon allein die Tatsache, dass Parteien über Bundestag und Bundesrat – also die Legislative – die Richterposten der Judikative bestimmen, sollte hellhörig machen.
Neuer Wahlgang – Wie läuft das Prozedere ab?
Nun musste der verschobene Wahlgang nachgeholt werden. Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts werden jeweils zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt. Die vom Bundestag zu berufenden Richter werden auf Vorschlag des Wahlausschusses durch das Plenum gewählt. Für eine Wahl ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig [3].
Die Vorschlagsrechte verteilen sich traditionell nach Proporz auf die im Bundestag vertretenen Parteien. Theoretisch hat auch die AfD ein Vorschlagsrecht – praktisch scheitert dies an den üblichen Hinterzimmer-Absprachen [3].

Wer waren die Kandidaten?
Der von der Union vorgeschlagene Kandidat ist der bisherige Bundesarbeitsrichter Günter Spinner, der bereits vom Bundesverfassungsgericht selbst als möglicher Nachfolger ins Gespräch gebracht wurde. Anstelle von Brosius-Gersdorf schlug die SPD Sigrid Emmenegger vor, die seit 2021 Richterin am Bundesverwaltungsgericht ist [2]. Als dritte Kandidatin trat die Münchener Jura-Professorin Ann-Katrin Kaufhold auf Vorschlag der SPD an [10].
Besonders kritisch: Ann-Katrin Kaufhold
Dass sie weiterhin im Rennen blieb, überraschte, sind ihre Positionen doch keineswegs moderater. Sie war Mitglied einer Kommission, die im Auftrag des Berliner Senats rechtssichere Wege zur Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen prüfen sollte. Enteignungen unter Verkehrswert wurden dort als verfassungsgemäß eingestuft [9].
Darüber hinaus sprach sie sich für „neue Kontrollformen“ in der Klimapolitik aus – also Strukturen, die demokratisch legitimierte Entscheidungen zusätzlich überwachen und ggf. überstimmen könnten [1]. Auch sie äußerte sich bereits pro AfD-Verbot, was aus unserer Sicht mit einem unparteiischen Richteramt nicht vereinbar ist.
Selbst der CDU-Staatsrechtler Prof. Rupert Scholz warnte die Union eindringlich: Kaufhold sei „noch gefährlicher als Brosius-Gersdorf“. Wer „neuen Kontrollformen“ in der Klimapolitik das Wort rede, zeige eine „ideologisch-totalitäre Grundhaltung“. Enteignungsphantasien seien „nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes“ [6].
Fazit – Das höchste deutsche Gericht muss unabhängig sein!
Die Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht ist keine Nebensächlichkeit. Das Gericht wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes, entscheidet über Verfassungsbeschwerden und fungiert als Schiedsrichter bei Bund-Länder-Konflikten.
Es entscheidet auch über mögliche Parteiverbote. Dass die etablierten Parteien bestrebt sind, Unterstützern eines AfD-Verbots ein Richteramt zu verschaffen, ist daher politisch brisant. Gerade deshalb fordern wir: Das Bundesverfassungsgericht muss wirklich unabhängig sein. Nicht Parteibuch oder Ideologie, sondern allein die juristische Kompetenz darf ausschlaggebend sein.
Quellenverzeichnis
[1] taz: Streit um Verfassungsgerichtsbesetzung – Rechte greifen Kandidatin Kaufhold an, 20.07.2025. Online: taz.de
[2] Deutschlandfunk: Wer ist SPD-Kandidatin Sigrid Emmenegger?, 18.07.2025. Online: deutschlandfunk.de
[3] LTO: Wie läuft die Wahl von Verfassungsrichtern?, 2025. Online: lto.de
[4] ZDF heute: Brosius-Gersdorf zieht Kandidatur zurück, 15.07.2025. Online: zdf.de
[5] Tagesspiegel: Nach Debakel um Brosius-Gersdorf: Verfassungsrichter-Wahlen müssen transparenter werden, 18.07.2025. Online: tagesspiegel.de
[6] Deutschlandkurier: Prof. Rupert Scholz warnt Union: Kaufhold noch gefährlicher als Brosius-Gersdorf, 16.07.2025. Online: deutschlandkurier.de
[9] Abschlussbericht der Berliner Expertenkommission zur Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen, 27.06.2023. Online: berlin.de
[10] Wikipedia: Wahl von Richtern des Bundesverfassungsgerichts 2025. Online: de.wikipedia.org
[11] Wikipedia: Frauke Brosius-Gersdorf. Online: de.wikipedia.org